Grundzüge eines modernen Investitionsschutzes – Ziele und Handlungsempfehlungen – Ein realpolitischer Vorschlag zur Reform des Investitionsschutzes zwischen CETA-Text und den Kommissionsvorschlägen zu TTIP (Essentials of a Modern Investment Protection Regime – Objectives and Recommendations for Action)
Abstract
1. Investitionsschutzabkommen einschließlich Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) sind eine Säule der deutschen Außenhandelspolitik und verfolgen wichtige Ziele und Interessen. Diese umfassen insbesondere
- einen robusten Schutz deutscher Auslandsin-vestitionen, an dem kleine wie große Unter-nehmen gleichermaßen partizipieren,
- die Stärkung der Chancengleichheit im Wett-bewerb im jeweiligen Markt und damit die Be-reitschaft, im Ausland zu investieren,
- die Schaffung eines Anreizes zur guten Recht-setzung und Aufrechterhaltung bzw. Entwick-lung eines funktionierenden staatlichen Rechts-systems in den Vertragsstaaten sowie die Her-ausbildung von international einheitlichen Rechtsstandards, die öffentliche und private In-teressen in einen angemessenen Ausgleich bringen,
- die aktive Förderung deutscher und europäi-scher Investitionen im In- und Ausland, wobei hierfür auch andere marktwirtschaftliche Me-chanismen sowie staatliche Investitionsgaran-tien flexibel genutzt werden sollten.
2. Internationales Investitionsschutzrecht muss die staatliche Regelungshoheit wahren und öffent-liche und private Interessen in einen angemesse-nen Ausgleich bringen. Dies gilt insbesondere für die Ausgestaltung des Rechts auf eine faire und gerechte Behandlung. Hier ist auch der Vertrauens-schutz als eine Fallgruppe eines nicht abschließen-den Katalogs möglicher Verletzungen aufzuneh-men. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip sollte hier ebenso wie bei der Enteignung das Mittel zur Her-stellung eines angemessenen Interessenausgleichs sein.
3. Es gibt ein Bedürfnis für völkerrechtlichen Inves-titionsschutz, der europarechtlich flankiert wird. Die völkerrechtlichen Schutzstandards und ihre Anwendung und Achtung im nationalen Recht sind wichtig. Sie tragen zur Verwirklichung grundlegen-der Prinzipien wie der Rechtsstaatlichkeit bei und sind insoweit auch für kleine und mittlere Unter-nehmen (KMU) in ihrer internationalen Tätigkeit von Bedeutung. Allerdings sind die materiellen Regelungen allein nicht hinreichend; sie müssen auch verfahrensrechtlich durchgesetzt werden können.
4. Besteht ein funktionstüchtiger, effektiver natio-naler Rechtsweg, ist dies im Rahmen eines eventu-ellen völkerrechtlichen Investor-Staat-Schiedsverfah-rens zu berücksichtigen. Dies kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Ein Weg ist, das (zumindest teilweise) Beschreiten des nationa-len Rechtswegs zur Voraussetzung für den Zugang zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu machen, wobei die Rahmenbedingungen hierfür möglichst klar zu definieren sind. Eine alternative Option wäre, im Rahmen der materiell-rechtlichen Beurtei-lung – z. B. beim Mitverschulden oder der Berech-nung des Schadens (einschließlich der Verfahrens-kosten) – zu berücksichtigen, ob der Investor hin-reichend erfolgversprechende Rechtsmittel nach nationalem Recht ergriffen hat.
5. Entscheidend für das Fortbestehen des interna-tionalen Investitionsschutzes ist, dass die rechts-staatlichen Strukturen des Verfahrens wahrge-nommen und fortentwickelt werden. Dazu gehören insb. Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit und Transparenz – u.a. bei der Auswahl der Schiedsrich-ter, dem Verfahren und der Veröffentlichung der Entscheidung. Nur so kann eine öffentliche und wissenschaftliche Diskussion und Kontrolle ermög-licht werden.
6. Die Auswahl der Schiedsrichter, insbesondere des vorsitzenden Schiedsrichters, muss transparen-ter und offener gestaltet werden. Für eine Öffnung und Stärkung der Transparenz sind zunächst Ände-rungen an den Bestimmungen zur Besetzung eines Schiedsgerichts erforderlich. Die Neutralität und fachliche Qualifikation eines jeden Schiedsrichters sollte entscheidendes Auswahlkriterium sein. Dies gilt entsprechend auch dann, wenn für ein eventu-elles ständiges internationales Investitionsgericht Richter bestellt werden. Vorgefertigte, geschlosse-ne Listen von Schiedsrichtern können kontrapro-duktiv wirken. Ein komplettes Verbot der parallelen Tätigkeit als Schiedsrichter und Schiedsanwalt würde zu einer erheblichen Verkleinerung des Schiedsrichterpools führen und damit das System insgesamt gefährden. Richtigerweise ist die Zahl der qualifizierten, aktiv tätigen Schiedsrichter (bzw. Richter) signifikant zu vergrößern, um zu verhin-dern, dass wenige das System subjektiv-einseitig prägen. Wünschenswert ist zudem eine stärkere Rolle europäischer Schiedsinstitutionen im globa-len Wettbewerb.
7. Zur Steigerung der Akzeptanz von Investor-Staat-Schiedsgerichten und Vermeidung von Wer-tungswidersprüchen zwischen nationaler und in-ternationaler Rechtsschutzebene sollten die Schiedsgerichte in ihrer Rechtsprechung auch die Entscheidungen der Gerichte der Vertragsparteien des Investitionsschutzabkommens berücksichtigen.
8. Eine ständige Rechtsmittelinstanz für ein be-stimmtes Abkommen würde Investoren und Gast-staaten die Möglichkeit geben, ggf. rechtlich feh-lerhafte Schiedssprüche überprüfen zu lassen. Außerdem könnte sie zu einer einheitlicheren Aus-legung und damit zu mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Schiedssprüchen auf der Grundlage eines bestimmten Abkommens führen. Durch die Präsenz von qualifizierten Richtern bzw. Schiedsrichtern aus Rechtstraditionen der jeweili-gen Vertragsstaaten könnte sichergestellt werden, dass Rechtsprinzipien, aber auch Gepflogenheiten und Befindlichkeiten beider Seiten ausreichend berücksichtigt werden. Zur Vermeidung einer er-heblichen Verfahrensverlängerung müssen die verfahrensleitenden Fristen – ähnlich dem WTO-Dispute Settlement Body – und die Zulässigkeitsvo-raussetzungen eng gefasst werden. Die Überprü-fung muss sich auf Rechtsfragen beschränken. Die Zulassung des Rechtsbehelfs durch die Rechtsmit-telinstanz sollte zur Bedingung gemacht werden. Bisherige Überprüfungsmechanismen müssen – soweit dies rechtlich möglich ist – durch die Rechtsmittelinstanz ersetzt werden, um Parallelitä-ten zu vermeiden.
9. Nicht immer ist es sinnvoll oder politisch mög-lich eine solche ständige Rechtsmittelinstanz gleichzeitig mit Inkrafttreten des Abkommens zu errichten. Für eine Übergangszeit könnten daher Ad-hoc-Einrichtungen die Aufgabe einer Rechtsmit-telinstanz übernehmen. Aufgrund schlanker Struk-turen können die Modalitäten ihrer Einsetzung direkt im Abkommen geregelt werden.
10. Die Vertragsstaaten könnten eine ständige Rechtsmittelinstanz auch für Schiedsverfahren auf der Grundlage von Drittstaatenabkommen öffnen und so eine schrittweise Plurilateralisierung errei-chen, wobei hierfür auch eine Vereinheitlichung des materiellen Rechtsstandards betrieben werden muss. Eine solche plurilateralisierte Rechtsmitte-linstanz könnte mittel- bis langfristig in ein ständi-ges internationales Investitionsgericht überführt werden.
11. Sammelklagen sind auch im Investitions-schutzrecht abzulehnen. Es besteht kein Bedarf nach Instrumenten des kollektiven Rechtsschutzes, aber eine hohe Missbrauchsgefahr. Um eine weite-re Stärkung einer „Klageindustrie“ auf diesem Feld zu vermeiden, müssen Sammelklagen daher aus-drücklich ausgeschlossen werden.
12. Ein dem eigentlichen Schiedsverfahren vorge-schaltetes schiedsgerichtliches Zulassungsverfah-ren zur einfachen Zurückweisung missbräuchlicher oder offensichtlich unbegründeter Schiedsklagen in einem frühen Verfahrensstadium ist wichtig. Sie muss möglichst unkompliziert, schnell und kosten-günstig ohne großen Verfahrensaufwand auf der Basis klarer Kriterien erfolgen.
13. Kleine und mittlere Unternehmen stehen bei Investitionsstreitigkeiten mit ihrem Gaststaat vor besonderen Herausforderungen. Ihnen stehen nur eingeschränkt politische und administrative Ge-sprächskanäle in ihrem Gast- bzw. Heimatstaat zur Verfügung, durch die womöglich Konflikte frühzei-tig ausgeräumt werden können. Zudem sind KMUs regelmäßig mit dem Aufwand und den Kosten eines Investitionsschiedsverfahrens überfordert, selbst wenn es Möglichkeiten der Verfahrensfinan-zierung durch Dritte gibt. Die im CETA-Text zu findenden KMU-bezogenen Regelungen greifen diese Problematik nicht hinreichend auf. Es bedarf eines entschiedeneren Vorgehens seitens der Ver-tragsstaaten sowohl auf Abkommensebene als auch innerhalb ihrer eigenen Rechtsordnungen, um hier Verbesserungen zu erreichen. In Investitions-schutzabkommen ist eine besondere KMU-Gebührenordnung für Parteivertreter und Schieds-richter sinnvoll, eventuell verbunden mit einem strikten Zeitregime für die Verfahrensdurchfüh-rung. Auf nationaler und europäischer Ebene kön-nen speziell für KMUs Programme aufgelegt wer-den, die die finanziellen und organisatorischen Hürden des Zugangs zu einem Investitionschieds-gericht auf der Grundlage eines Investitionsschutz-abkommens beseitigen oder zumindest senken. Hierzu könnten nationale Investitionsgarantien mit Rechtsschutzversicherungen verbunden werden. Zudem könnte KMUs Hilfestellung – sog. „technical assistance“ – seitens der Mitgliedstaaten und/oder der EU bei Schiedsverfahren gewährt werden, die an den Gedanken der Prozesskostenhilfe angelehnt sind. Deren Beantragung und Gewährung sollte von diskretionären politischen Erwägungen wei-testgehend losgelöst sein.